Wie der europäische VC-Markt aktuell aussieht und wie du in dieser schwierigen Phase an Geld kommst
Wie unser jüngster Founder Index zeigte, geht den meisten Startups in den kommenden 2 bis 3 Monaten das Geld aus. Laut der “Venture Pulse” Analyse der Unternehmensberatung KPMG sind im ersten Quartal 2020 nur 923 Deals in Europa abgeschlossen worden - das sind über 25% weniger als noch in Q4 2019.
Allerdings erreichte das Gesamtvolumen einen Wert von 8,8 Milliarden US Dollar, ein Plus von 900 Millionen. Oscar Jazdowski, Co-General Manager der Silicon Valley Bank in Deutschland, betont: "Im Gegensatz zur Dotcom-Krise oder der Finanzkrise 2008/2009, als die VCs ins Stocken gerieten und dann einige Zeit brauchten aber schließlich wieder zurückkehrten, ist es erstaunlich, dass die VC-Aktivität jetzt nicht dramatisch nachgelassen hat.(...) Wir sehen immer noch, dass VC-Firmen investieren. Wir sehen, dass virtuell Investitionsentscheidungen gefällt werden, in Situationen, in denen sie die Unternehmen noch gar nicht physisch getroffen haben."
Nichtsdestotrotz wird sich die Finanzierung laut Prognosen des US-Analysten CB Insights in den nächsten Quartalen noch weiter verlangsamen. Auch Unternehmensbewertungen werden voraussichtlich niedriger und ein Niveau wie vor 3 bis 4 Jahren erreichen, mahnte Jan Miczaika, Partner bei Holtzbrinck Ventures in einem Gespräch mit sifted.eu.
In Zukunft würden riskante Investitionen seltener oder zu schlechteren Konditionen getätigt und mehr auf krisensichere Geschäftsmodelle gesetzt. "Ich denke jedoch, was wir suchen, sind rezessionssicherere Unternehmen und ein Verständnis dafür, woher die Einnahmen dieser Unternehmen kommen sollen und was der Wert des Wachstums ist. (...) Ich suche nach Engagement für die Produkte und will sehen, was wirklich Bestand hat”, deutete auch die Northzone Investorin, Marta Sjögren, in einem Sifted-Interview an.
Das stelle viele Start-ups vor große Herausforderungen und könne sie in kommenden Finanzierungsrunden unter Druck setzen. “Wo bereits Term Sheets ausgearbeitet wurden und wir unser Wort gegeben haben, werden wir natürlich auch investieren. Aber man kann sich nie ganz von dem Gedanken freimachen, dass in drei Monaten vielleicht alles etwas günstiger zu haben ist”, erklärte Klaus Hommels von Lakestar die Lage unlängst in einem Interview mit Business Insider.
Wenn man auf vergangene Rezessionen zurückblickt, ist die Gesamtzahl der Merger & Acquisition-Deals zurückgegangen, aber der Anteil von M&A an allen Exits hat zugenommen. Grundsätzlich zeigt sich: In Rezessionen werden erfolgreiche Börsengänge schwieriger, was bedeutet, dass Unternehmen momentan vor allem auf Übernahmen oder Buyouts setzen. Mit steigendem Angebot (und sinkender Zahl der Käufer) sinken jedoch die Preise.
In einem solchen Umfeld können Unternehmen und Private Equity Investoren Start-ups zu niedrigeren Bewertungen erwerben, was auch für einen Rückgang der Risiko-Renditen sorgen dürfte. Diese Meinung teilt auch Oscar Jazdowski. “Wenn Unternehmen, die durch Covid-19 stark negativ getroffen wurden, nicht ausreichend finanzielle Mittel bis Mitte 2021 zur Verfügung haben, dann müssen sie einen Käufer finden, weil sie wissen, dass ihre Liquidität bald erschöpft sein wird und es schwierig ist, mehr VC-Gelder zu einzusammeln. Ich denke also, wir werden in den nächsten 6 bis 9 Monaten einiges an Merger & Acquisitions Aktivität sehen.”
Zudem werden Investoren vorsichtiger. Paul Murphy, Partner beim auf europäische Investitionen spezialisierten VC Northzone, deutete erst kürzlich an, dass ein Großteil der Fonds die Hälfte ihres Kapitals für Folgeinvestitionen für bereits lukrative Unternehmen aufwenden werden. Schwächer performende Unternehmen im Portfolio werden dadurch vernachlässigt.
Den Trend bekommt auch die deutsche Startup-Szene zu spüren. "In den nächsten ein bis zwei Monaten werden VC-Investoren wahrscheinlich entscheiden müssen, (...) ob bestimmte Geschäftsmodelle COVID-19 überleben können. Die Zukunft könnte radikal anders aussehen als in der Vergangenheit, so dass VC-Investoren mit ihrer Entscheidungsfindung wahrscheinlich sehr vorsichtig sein werden”, so der KPMG-Partner Tim Dümichen in der “Venture Pulse” Analyse.
Eine ähnliche Meinung teilt Oscar Jazdowski: "Es gibt einige Branchen wie zum Beispiel Tourismus, die (in der Zukunft) nicht verschwinden werden, aber möglicherweise in Zukunft weniger Wagniskapital einsammeln können. Gleichzeitig wird es aber auch andere Segmente der digitalen Wirtschaft geben (...), die weiterhin mehr Risikokapital erhalten werden, weil sich diese Sektoren während der Krise als sehr widerstandsfähig und leistungsstark erwiesen haben (...)."
Alternative Finanzierungsoptionen
Das zurückhaltende Investorenverhalten erschwert künftig die Kapitalbeschaffung. Gründer*innen sollten sich deshalb nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten umschauen.
Venture Debt ist eine beliebte Methode zur Liquiditätssteigerung. Hierbei handelt es sich um Fremdkapital in Form von Krediten, die von externen Geldgebern oder spezialisierten Banken vergeben werden. Das verwässert nicht die Unternehmensstruktur und erhöht gleichzeitig die Liquidität, um den Runway zu verlängern. So können Gründer*innen beispielsweise wichtige Meilensteine nicht erreichen, bevor sie erneut Eigenkapital einsammeln. Dies ist vor allem jetzt wichtig, da sich viele Unternehmensziele durch die Krise nach hinten verschieben. Diese Finanzierungsmethode kommt allerdings hauptsächlich für Startups in Frage, die nicht mehr in der Frühphase sind und ein funktionierendes Geschäftsmodell haben.
Ein weiterer Finanzierungsweg, der nun häufiger genutzt wird, sind Wandeldarlehen, auch Convertible Loans. Meist werden sie von bereits beteiligten Investoren zunächst als fest verzinstes Fremdkapital ausgegeben. Sie dienen ebenfalls als Brückenfinanzierung zwischen zwei Finanzierungsrunden um Meilensteine zu erreichen und die Bewertung zu steigern. Bei der nächsten Finanzierungsrunde wird das Darlehen dann zu besseren Konditionen in Unternehmensanteile umgewandelt.
Zusätzlich dazu lässt sich der Runway auch durch Revenue Sharing Modelle verlängern. Solch ein Finanzprodukt hat beispielsweise das kanadische Unternehmen Clearbanc entwickelt (hier geht’s zur Podcast-Folge mit Co-Gründerin Michele Romanow). Gründer*innen können auf der Webseite unkompliziert Fremdkapital anfragen. Clearbanc nimmt einen festen Prozentsatz des Umsatzes als Rückzahlung.
Sollte der Umsatz eines Unternehmens sinken, so dauert die Rückzahlung länger. Dieses Modell ist besonders attraktiv für Gründer*innen, da sie so nicht durch strikte Vorgaben, wie bei traditionellen Finanzierungsmaßnahmen, in Bedrängnis kommen. Voraussetzung für die Finanzierung von Clearbanc sind ein monatlicher Mindestumsatz von $10.000 und eine Umsatzhistorie von mindestens 6 Monaten.