In der Corona-Krise boomen zahlreiche Nachbarschaftsangebote. Doch was gilt es bei ihrer Gründung zu beachten?
Geht es um neue lokale Projekte, ist Christian Vollmann so etwas wie ein Überzeugungstäter. “Gerade jetzt in der Corona-Krise zeigt sich, wie wichtig lokale Vernetzung ist”, sagt der Gründer der Plattform nebenan.de. Ursprünglich war die 2015 publizierte App dafür gedacht, Nachbarn für einfache Dienstleistungen und Aktivitäten miteinander zu vernetzen, etwa um sich einen Fahrradanhänger auszuleihen oder Kindersachen zu verschenken.
Mittlerweile zieht das Start-up 1,6 Millionen Nutzer aus ganz Deutschland auf seine Plattform. Seit Beginn der Corona-Krise hat sich die Zahl der Neuanmeldungen bei nebenan.de verfünffacht, so der Gründer.
Besonders nachgefragt sind Nachbarschaftsdienste aktuell für Menschen, die sich wegen der Pandemie kaum aus dem Haus bewegen können oder möchten, das gilt besonders für Menschen aus den gefährdeten Covid-19 Risikogruppen. Sie können über das Portal nach jemandem suchen, der ihre Einkäufe im Supermarkt übernimmt oder Medikamente in der Apotheke besorgt.
Bei der Finanzierung setzt der Anbieter auf ein Drei-Säulen-Modell. Neben der freiwilligen Spende von Nutzern gibt es kostenpflichtige Profile für Gewerbetreibende oder Städte und Gemeinden, die je nach Umfang zwischen 8€ und 59€ im Monat kosten. Ein auf Nutzerdaten basierendes Geschäftsmodell schließt der Anbieter aus.
Inzwischen haben sich viele Projekte dem Trend zu lokalen Portalen angeschlossen und versuchen direkt in ihrer Nachbarschaft etwas zu bewegen. Eines davon ist das von der Süddeutschen Zeitung ins Leben gerufene Projekt “München bringt’s”. Die Plattform verbindet kleinere Geschäfte und Läden in München mit ihren Kunden und bietet nebenbei die Möglichkeit, weiterhin deren Angebote online sichtbar zu machen.
Das ist ein wichtiger Punkt, denn auch wenn immer mehr Cafés, Bars und Bistros ihr Menü zum Mitnehmen anbieten und nun nach und nach unter harten Auflagen wieder öffnen, wissen doch viele Kunden oft nichts von lokalen Angeboten direkt um die Ecke.
Projekte wie diese sollen dem Einzelhandel und den Gastronomiebetrieben helfen, die von den Auswirkungen der Krise schwer gebeutelt sind. Ohne staatliche Unterstützung stehe jeder dritte Betrieb vor der Insolvenz, mahnt die Geschäftsführerin der Lobbyorganisation Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA, Ingrid Hartges, in der Bild am Sonntag.
Beim Bau der interaktiven Website ließ sich “München bringt´s” von Kolleg*innen vom Schweizer Tages-Anzeiger inspirieren. Innerhalb von drei Tagen entstand die Seite mit lediglich zwei Entwicklern, zwei Redakteuren und einer Designerin. Nur zwei Tage nach dem Start verzeichnete die kostenfreie Plattform bereits 700 Einträge. Mittlerweile sind es mehr als 1650 - Tendenz steigend. Außer einer längeren Ladezeit aufgrund des hohen Andrangs gab es bisher keine technischen Probleme.
Andere arbeiten pro bono wie beim Projekt “Bring and Ring” von Zarah Bruhn. Ihr Projekt wird von der Solidaritätskampagne „Ich geh für dich“ mit mehr als einer halben Millionen Euro an Pro-Bono Werbebudget von Vermarktern wie Ströer oder Burda unterstützt. Influencerinnen wie Lena Gercke oder Lea-Sophie Cramer haben sich ebenfalls der Kampagne angeschlossen. Trotz des großen Zulaufs werde ihr Projekt aber auch künftig nicht gewinnorientiert sein, erklärt die Gründerin hier in ihrem Beitrag für Bits Daily.
“München bringt´s”, aber auch andere lokale Projekte wie helfen.gemeinsamdadurch.de, die Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten anbieten, können aufgrund starker finanzieller Partner im Hintergrund ihre Programme für den Nutzer kostenfrei anbieten. Die Aktion soll strauchelnden Firmen helfen und ist zunächst auf die Corona-Krise beschränkt.
Ein ähnliches Prinzip verfolgt lokal-support.de, über deren Website man nach einem Trinkgeld-Prinzip Geld an seine in Not geratenen Lieblingsrestaurants und Clubs spenden kann. Im Schnitt haben die Lokale so seit dem Start durchschnittlich 380€ an Trinkgeld eingenommen, teilen die Macher mit.
Einen anderen Ansatz verfolgt das 2010 von Berliner Studierenden gegründete Sozialunternehmen Quartiermeister. Unter dem Motto ”Bier trinken - Gutes tun” unterstützt das Unternehmen soziale und kulturelle Projekte in der Nachbarschaft und ist die erste gemeinwohl bilanzierte Biermarke Deutschlands. 10 Cent pro Liter gehen an Projekte in Berliner, Münchener und Dresdner Nachbarschaften und per Online Abstimmung kann jede*r per Mausklick über die Quartiermeister-Homepage mitentscheiden, an welche Projekte das Geld fließen soll. Auf diese Weise konnten bereits mehr als 180.000€ an über 160 Projekte verteilt werden.
Natürlich können lokale Projekte nicht jedes Problem lösen – doch lokal organisierte Plattformen haben meist ein solides Geschäftsmodell und lassen sich zudem auch leichter anpassen. "Wer weiß, vielleicht wird lokal-support.de nach Corona die Gutscheinseite für den Raum Stuttgart... einen genauen Plan für nach Corona gibt es nicht. Aktuell ist das Wichtigste: Support your Lokalitäten “ so die Gründer Marc Lehmann und Manuel Vincent Hermann.
Für die Zukunft sehen Vollmann und sein Team in lokalen Projekten ein enormes Potenzial: “Eine starke und solidarische Nachbarschaft ist sicherlich deutlich krisenfester als eine anonyme”, glaubt der nebenan.de Mitgründer.
Von staatlicher Seite geht man davon aus, dass entsprechende Projekte auch über die Corona-Krise hinaus bestehen werden. Laut einer Initiative des Sozialministeriums Rheinland Pfalz tragen explizit Einkaufshilfen, Fahrdienste, Lotsenprojekte, Repair-Cafés “wesentlich zum Zusammenhalt bei und helfen mit, dass ältere Menschen weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.”